Ein Gesetzesentwurf der EU gleicht so gut wie nie dem später beschlossenen Gesetz: Das ist auch gut so! Denn im parlamentarischen Verfahren werden viele Ausnahmeregeln und Weiterentwicklungen durch die Fraktionen und Abgeordneten eingefügt. Bei der Größe und Vielfalt der EU kann eine kleine Entwurfs-Gruppe nur schwer alle Sonderfälle von vornherein im Blick haben. Dafür sind die vielen Abgeordneten da, welche die Bedürfnisse ihrer Heimat und ihres Wahlkreises kennen und einfließen lassen können. Der Entwurf „reift“ dabei sozusagen zum Gesetz heran. Ein wichtiger demokratischer Prozess!
Ähnlich wie Gesetze in Brüssel reifen im Neuffener Tal hervorragende Weine heran. Die Weinbauern haben jedoch zurecht die Sorge, dass durch die von der EU geplante Reduzierung des Pestizid-Einsatzes ihre Arbeit unmöglich wird. Schließlich möchte der vorliegende Entwurf Pestizide in Schutzgebieten sogar komplett verbieten. Erstmal ein ehrenwertes Anliegen der EU, schließlich sind Pestizide für ihre vielen Gefahren für Mensch und Umwelt bekannt. Dass die Folgen aber beispielsweise den Weinbau im Neuffener Tal so stark treffen, haben die Entwickler des Entwurfs mit Sicherheit nicht im Blick gehabt. Schließlich ist die Situation bei uns ganz besonders und einzigartig.
Rainer Wieland, EU-Abgeordneter der CDU, erkennt leider nicht das viele positive Potential des Entwurfs zum Schutz unserer Umwelt – er polarisiert lieber. Doch genau für solch einen Neuffener-Sonderfall sind doch unsere Abgeordneten vor Ort da. Diese können die Problematik im Parlament einbringen und auf eine Ausnahmeregelung hinarbeiten. Rainer Wieland sollte sich daher lieber konstruktiv in die parlamentarische Debatte einbringen, anstatt das Vorhaben zur Reduzierung von Pestiziden in der Nürtinger Zeitung pauschal als „Ideologie“ abzutun (Artikel vom 10.08.2023). Denn der Schutz der Biodiversität geht uns alle an! Und vielleicht würde ihm auch ein Blick auf die Definition der „Ideologie“ nicht schaden. (Leserbrief für die NTZ, Autor: Tim Reeth vom 10.08.2023)